Tiefenschärfe oder Schärfentiefe?

Eine der wesentlichen Eigenheiten der optischen Abbildung ist die Schärfeebene. Eine Ebene im Motiv wird scharf abgebildet, Motivanteile ausserhalb dieser Ebene werden mit zunehmendem Abstand unscharf abgebildet. Diese Eigenschaft der Abbildung ist bekannt und heisst ...

Genau, hier beginnt das eigentliche Problem: Ob die Eigenschaft des Schärfenbereiches mit dem Begriff Schärfentiefe oder Tiefenschärfe besser gekennzeichnet ist kann unter Fotografen zu längeren Diskussion führen und obwohl der Begriff Schärfentiefe argumentierbar der richtige Ausdruck zu sein scheint, zeigt sich der falsche Begriff Tiefenschärfe renitent und will nicht von der Bühne gehen.

Was wir bei diesen Diskussionen übersehen: Wir sind in eine Falle geraten: unhinterfragt nehmen wir an, dass es den Vertretern des jeweiligen Ausdrucks um das gleiche geht, das tut es aber nicht.

Wie Unschärfe entsteht - Der Unschärfekreis

Werden kleine Lichtpunkte sehr unscharf
fotografiert, so werden die Unschärfekreise
direkt wahrnehmbar.

Wenn eine Optik ein dreidimensionales Motiv abbildet, so projiziert das Objektiv vorerst auch ein dreidimensionales Bild. In diesem räumlich ausgedehnten Bild zeichnet der Bildsensor exakt eine Ebene auf, dadurch wird das aufgezeichnete Bild zweidimensional, es entsteht ein flaches Bild. Gleichermassen wie der Sensor als Ebene im Bild liegt entsteht im Motiv eine Schärfeebene. Was im Motiv auf dieser Schärfeebene liegt, wird auch im Bild auf dem Bildsensor oder Film liegen und somit als scharfes Bild aufgezeichnet. Ein Punkt in der Schärfeebene auf dem Motiv wird im Bild als ebenso scharfer Punkt abgebildet.

Die Lichtstrahlen, welche von weiter entfernten oder näheren Motivanteilen ausgehen werden entsprechend ausserhalb der Bildebene des Sensors fokussiert und bilden auf dem Sensor anstelle eines scharfen Punktes einen sogenannten Unschärfekreis mit der äusseren Form der Blendenöffnung. Der Durchmesser diese Unschärfekreises nimmt mit zunehmendem Abstand des Motivteils von der exakten Schärfeebene ebenfalls zu. Wird der Durchmesser eines Unschärfekreis genügend gross, so nehmen wir dies als Unschärfe war.

Anmerkung: Für den Unschärfekreis wird oft auch der Begriff Zerstreuungskreis verwendet.

Eine Grenze zwischen scharf und unscharf

Daher ist das Mass dieses Unschärfekreisdurchmessers auch ein Mass für die Schärfe respektive Unschärfe. Wollen wir eine Grenze ziehen zwischen scharf und unscharf, so brauchen wir dafür nur einen sinnvollen Wert für diesen Unschärfekreisdurchmesser zu definieren.

Ausgegangen wird dabei vom Auflösungsvermögen des menschlichen Auges:

Das Auge unterscheidet Objekte, die es unter einem Winkel von 2' (Bogenminuten) erblickt.

Alle Punkte, welche aus einer Distanz unter dem Winkel von 2' oder kleiner gesehen werden, betrachten wir daher als scharf.

Anmerkung: Bogenminuten sind ein Mass für den Winkel. Ein Vollkreis wird unterteilt in 360° (Grad), jedes Grad wiederum wird unterteilt in 60' (Winkelminuten). 2' entsprechen daher dem Winkel von 1/10800 eines Vollkreises.

Der Unschärfekreis und damit das Mass der Schärfe ist jedoch auch noch von der Distanz abhängig. Daraus retten wir uns (mehr oder weniger elegant) durch eine Annahme:

Die Distanz, aus welcher wir ein Bild betrachten, entspricht dessen Diagonale.

Bildsensorformat zulässiger
Unschärfekreises
Kleinbild ∅=0,03mm
APS-C ∅=0,019mm
Micro-Four-Thirds ∅=0,014mm
Gerundete zulässige Unschärfekreise
für verschiedene Bildsensorformate

Daraus ergibt sich ein Verhältnis zwischen dem zulässigen Unschärfekreisdurchmesser und der Bilddiagonale, stark (zu ungunsten der Schärfe) gerundet beträgt dieses:

Unschärfekreis = Bilddiagonale / 1500

Dies ist also unsere als sinnvoll erachtete Festlegung der Grenze zwischen scharf und unscharf. Grösser abgebildete Punkte werden fortan als unscharf betrachtet.

Kurz noch zur Sprachregelung:

Anmerkung: Dieser Wert von 1/1500 ist keineswegs sakrosankt. 1/1500 entspricht den Verhältnissen, als Bilder noch im Format 9cm x 13cm herumgereicht wurden und die Sehdistanz zwangsläufig etwas grösser war als die kleine Bilddiagonale. Was schreibt Zeiss dazu:

The international depth of field standard, the basis for all camera lens manufacturers to calculate their depth of field scales and tables, dates back to a time when image quality was severely limited by the films available. Those who use depth of field scales, tables, and formulas (e. g. for hyperfocal settings), restrict themselves - most probably without knowing why - to the image quality potential of an average pre-World-War-II emulsion.
This is still absolutely okay as far as the large majority of photo amateurs is concerned, that take their photos without tripods and have them printed no larger than 4" x 6".

(Zeiss Camera Lens News No1. 1997)

Der Wert darf zugunsten etwas höherer Schärfe durchaus auch etwas modifiziert werden.

Die Schärfetiefe

Exakt scharf abgebildete wird im Motiv also nur eine Ebene. Mit zunehmender Distanz des Motivs von der fokussierten Entfernung nimmt der Durchmesser des Unschärfekreises zu. Solange diese Unschärfe ausserhalb dieser exakten Schärfeebene das Mass des zulässigen Unschärfekreisdurchmessers noch nicht überschreitet, werden wir diesen Teil des Bildes bei normaler Betrachtung als scharf betrachten. Die Ausdehnung dieses als scharf wahrgenommenen Bereichs in der Raumtiefe wird Schärfentiefe genannt. Die vordere respektive hintere Grenze der Schärfentiefe wird Nahpunkt respektive Fernpunkt genannt.

Weil Betrachtungen zur Schärfentiefe nicht selten etwas unscharf sind möchte ich diese Fakten nochmals kurz als Liste aufführen:

Schärfeeinstellung auf 2 Meter bei Blende 8.
Der Bereich zwischen den "8"-Marken an der
Schärfentiefeskala wird scharf abgebildet. Er
reicht von ~1.5m bis ~3m.

Eine feine Sache zum Abschätzen der Schärfentiefe sind entsprechende Skalen an den Objektiven. Das nebenstehende Bild zeigt wie so eine Schärfentiefenskala am Objektiv abzulesen wäre, so es denn heutzutage noch Objektive mit solchen Skalen gäbe...

Von der fotografischen Anwendung her können bezüglich Aufteilung der Schärfentiefe gegenüber der exakten Schärfeebene drei Fälle unterschieden werden.

Schärfentiefe bei allgemeiner Fotografie

Ausgehend von der exakten Schärfeebene teilt sich die Schärfentiefe auf in einen scharfen Bereich vor der exakten Schärfeebene und einen ebensolchen dahinter.

Im Bereich der Naheinstellgrenze eines Objektivs verteilt sich die Schärfentiefe zumeist noch gleichermassen nach vorne und nach hinten. Mit zunehmend grösser werdenden Entfernungen ändert sich deren Verteilung immer stärker zugunsten des hinteren Bereichs.

Nicht selten hört oder liest man die Angabe, dass sich 1/3 der Schärfentiefe nach vorne erstreckt und 2/3 nach hinten. Dies ist daher nicht im eigentlichen Sinne richtig, als Faustregel aber genügend für viele Bereich der Fotografie indem sie besagt, dass der hintere Bereich der Schärfentiefe tiefer ausfällt als der vordere. Bei Portraitaufnahmen kann es sein, dass wenn Sie auf die Augen fokussieren, die Ohren noch scharf abgebildet sind, die Nasenspitze von Herrn Gerard Depardieu jedoch bereits ausserhalb des Schärfebereichs liegt.

Diese ungleiche Verteilung der Schärfe in Hinter- und Vordergrund gilt allerdings auch nur, wenn die Motive eine gewisse minimale Grösse haben. Im Makrobereich bei Nahaufnahmen kleiner Objekte und bei sehr grossen Motiven wie zum Beispiel bei der Landschaftsfotografie ist die 1/3-2/3 Faustregel sinnlos. Diese Fälle werden weiter unten auf dieser Seite gesondert erläutert.

Kleinbildformat, Objektiv: 24mm/1,4
Sogar Weitwinkelobjektive können bei grosser
Blende geringste Schärfentiefen zeigen.

Im Bereich der Nahgrenze lichtstarker Teleobjektive und Porträtobjektive wird bei geöffneter Blende die Schärfentiefe sehr gering und deren Wirkung wird anhand des kleinen Kameradisplays oftmals unterschätzt. Bei Paaraufnahmen sieht man des öftern, das nur bei einer Person die Augen im Schärfebereich liegen, durch den geringen Tiefenversatz der zweiten Person rutschen deren Augen bereits aus dem Schärfetiefenbereich hinaus.

Ich halte es daher durchaus für angebracht, sich mit diesen geringen Schärfentiefen vorgängig vertraut zu machen, dazu liegt den Objektiven zumeist eine Tabelle mit Angaben zur Schärfentiefe bei. Üblicherweise erfolgen die Angaben in der Form von Nahpunkt und Fernpunkt in Abhängigkeit der fokussierten Distanz und der gewählten Blende. Ansonsten können die gewünschten Werte mithilfe eines Schärfentiefenrechners selbst problemlos ermittelt werden.

Hyperfokale Distanz

Bei Einstellung der Fokussierung auf die sogenannte hyperfokale Distanz erstreckt sich die Schärfentiefe im Hintergrund exakt bis zum Horizont (unendlich), dass heisst, die Schärfe des Horizonts nimmt genau das durch den maximal zulässigen Unschärfekreis definierte Mass an. Im Vordergrund beginnt der scharfe Bereich bei der halben eingestellten Distanz.

... the hyperfocal distance setting ... is simply a fancy term that means the distance setting at any aperture that produces the greatest depth of field.

(How to Use Your Camera, New York Institute of Photography)

Typischerweise wird die hyperfokale Scharfstellung für Landschaftsaufnahmen verwendet, bei welchen man auch den Horizont noch scharf abgebildet will. Distanz und Blende wird also so eingestellt, dass der Schärfebereich gerade bis unendlich reicht. Jede Scharfstellung auf eine grössere Distanz würde dazu führen, dass im Vordergrund weniger Schärfe liegt, im Hintergrund hingegen würde der Schärfebereich über den Horizont hinaus gehen wo es an Schärfe allerdings nichts mehr zu gewinnen gäbe, dies um so mehr als der Horizont oftmals aufgrund atmosphärischer Störungen wie Dunst und Staub selbst dann nicht scharf abgebildet würde wenn Sie exakt darauf scharfstellen würden.

Die Hyperfokale Distanz kann einfach berechnet werden:

Kleinbildformat (36mm x 24mm) z=0,03mm
Brennweite →
Blende ↓
18mm 24mm 35mm 50mm 100mm
1,4 7,7m 13,7m 29,2m 59,6m 238,2m
2,0 5,4m 9,6m 20,5m 41,7m 166,8m
2,8 3,9m 6,9m 14,6m 29,8m 119,1m
4,0 2,7m 4,8m 10,2m 20,9m 83,4m
5,6 1,9m 3,5m 7,3m 14,9m 59,6m
8,0 1,4m 2,4m 5,1m 10,5m 41,8m
11 1,0m 1,8m 3,7m 7,6m 30,4m
16 0,7m 1,2m 2,6m 5,3m 20,9m
APS-C (24mm x 16mm) z=0,019mm
Brennweite →
Blende ↓
12mm 18mm 24mm 35mm 70mm
1,4 5,4m 12,2m 21,7m 46,1m 184,3m
2,0 3,8m 8,5m 15,2m 32,3m 129,0m
2,8 2,7m 6,1m 10,9m 23,1m 92,2m
4,0 1,9m 4,3m 7,6m 16,2m 64,5m
5,6 1,4m 3,1m 5,4m 11,5m 46,1m
8,0 1,0m 2,1m 3,8m 8,1m 32,3m
11 0,70m 1,6m 2,8m 5,9m 23,5m
16 0,49m 1,1m 1,9m 4,1m 16,2m
Hyperfokaldistanzen in Abhängigkeit von Blende und
Brennweite für zwei Bildformate

Die hyperfokale Distanz ist also abhängig von der Brennweite und der gewählten Blende, über den Unschärfekreisdurchmesser auch vom Bildformat, dieser ergibt sich zu 1/1500 der Diagonale des verwendeten Film- respektive Bildsensorformats.

Die nebenstehende Tabelle gibt ein paar Werte für hyperfokale Distanzen für zwei gebräuchliche Bildformate an. Ein paar Aspekte sind aus der Tabelle ersichtlich:

Es kann eventuell sinnvoll sein, für ein paar Objektive, welche man für die Landschaftsfotografie einsetzen möchte, sich vorgängig die ungefähren Hyperfokalen Distanzen zu merken respektive zu notieren.

Lake Alykes auf Kos, 17mm, Blende 4, APS-C,
etwas näher als hyperfokal fokussiert.

Ein anderer Aspekt: Durch Abblenden kann die Schärfentiefe also vergrössert werden. Ist die Kamera erst mal auf dem Stativ, so scheint es nahe liegend, das Objektiv gleich bis zur kleinsten Blende abzublenden, viel hilft viel, der Schärfebereich müsste dann maximal sein. Dies ist eine nur mässig gute Idee. Wird die Blendenöffnung sehr klein, so wird das gesamte Bild von einer ganzflächigen matschigen Unschärfe aufgrund von Beugungseffekten an der kleinen Blende überzogen sein. Bei Weitwinkelobjektiven für das Kleinbildformat gehe ich persönlich nie über Blende 8 hinaus, auch zum Erzielen grosser Schärfentiefen scheint mir dies nicht notwendig zu sein, gegebenenfalls lasse ich am Horizont etwas mehr Unschärfe zu wie in nebenstehendem Bild vom Lake Alykes. Nicht zuletzt scheint es mir auch sinnvoll, sich auch bei Weitwinkelaufnahmen mit grosser Schärfentiefe ein paar Gedanken zur richtigen Schärfeebene anzustellen, die Schärfe anstelle einer bewusst gewählten Distanz einfach nur mit der Blende zu erschlagen ist ein fotografisches Fast-Food-Rezept.

Makroschärfentiefe

Das andere Ende bezüglich Schärfentiefe ist der Makrobereich, bei Aufnahmen im Nahbereich, bei Abbildungsmassstäben grösser als 1:10. Hier hat die Schärfentiefe für den Fotografen ein paar Eigenheiten bereit, welche ich hier nur kurz zusammenfassen möchte, ansonsten sei auf die entsprechende Seite zur Makro-Schärfentiefe im Artikel zur Makrofotografie verwiesen:

Jenseits der Schärfentiefe

Erstellen wir ein Bild mit geringer Schärfentiefe sind wir nicht zuletzt an einer schönen Unschärfe im restlichen Bildbereich interessiert. So könnten wir also geneigt sein festzustellen, dass die Schärfentiefe aus fotografischer Sicht exakt das Falsche beschreibt.

Was spielt sich also im unscharfen Bereich jenseits der Schärfegrenzen ab wenn wir die Brennweiten ändern?

Brennweite = 50mm, Blende = 2,8
Distanz ~3m

Brennweite = 105mm, Blende = 2,8
Distanz ~6m

Einiges, dies pauschal in einem kurzen Satz zusammenzufassen ist nicht wirklich so einfach, ich versuche dies mal anhand zweier Bilder zu illustrieren.

Fazit: Werden zwei Aufnahmen mit identischem Abbildungsmassstab, bei gleicher Blendenzahl, jedoch unterschiedlicher Brennweite gemacht, so wird diejenige Aufnahme, welche mit der längeren Brennweite gemacht wurde, entfernte Objekte in grösserer Unschärfe abbilden, der Hintergrund zeigt eine stärkere Zunahme der Unschärfe als ein Bild aufgenommen mit einem Objektiv kleinerer Brennweite. Die relative Unschärfe entfernter Objekte, das Verhältnis der Unschärfe (Durchmesser der Unschärfekreises) zum jeweiligen Abbildungsmassstab ist jedoch bei beiden Brennweiten weitgehend identisch.

Die Methode des Vergleichs anhand zweier Bilder kann auch eine Anregung sein, allfällige Fragen bezüglich einzelner Parameter selbst experimentell anhand zweier Bilder zu ermitteln.

Eine kleine Tabelle soll versuchen, die Zusammenhänge aufzuzeigen:

Was wir ändern Schärfentiefe Vordergrund entfernter Hintergrund
Blende schliessen Schärfentiefe wird grösser Motiv bleibt gleich gross Hintergrund wird schärfer
Blende öffnen Schärfentiefe wird kleiner Motiv bleibt gleich gross Hintergrund wird unschärfer
grössere Brennweite Schärfentiefe wird kleiner Motiv wird grösser abgebildet Hintergrund wird unschärfer
Hintergrund wird grösser abgebildet
kleinere Brennweite Schärfentiefe wird grösser Motiv wird kleiner abgebildet Hintergrund wird schärfer
Hintergrund wird kleiner abgebildet
kleinere Distanz Schärfentiefe wird kleiner Motiv wird grösser abgebildet entfernter Hintergrund bleibt ungefähr gleich gross und gleich (un)scharf
grössere Distanz Schärfentiefe wird grösser Motiv wird kleiner abgebildet entfernter Hintergrund bleibt ungefähr gleich gross und gleich (un)scharf
grössere Brennweite,
grössere Distanz
Schärfentiefe bleibt ähnlich (wenn die Distanz klein bleibt) Motiv wird gleich gross abgebildet Hintergrund wird grösser abgebildet
Der Hintergrund erscheint schärfer
kleinere Brennweite,
kleinere Distanz
Schärfentiefe bleibt ähnlich (wenn die Distanz klein bleibt) Motiv wird gleich gross abgebildet Hintergrund wird kleiner abgebildet
Der Hintergrund erscheint unschärfer

Die Idee der Schärfentiefe ...

Wenn wir ein Motiv fotografieren wählen wir mit Bedacht eine Schärfeebene, auf diese stellen wir mit der Kamera scharf. Motivteile, welche in dieser Ebene liegen erwarten wir berechtigterweise als im Bild scharf abgebildet, hingegen werden Elemente, welche vor oder hinter dieser Schärfeebene liegen, mit zunehmendem Abstand von dieser Ebene unschärfer abgebildet.

Dieser Übergang von der Schärfe in die Unschärfe kann durch den Fotografen in gegebenen Grenzen beeinflusst werden, dies bedeutet auch, dass der Fotograf sich eine Vorstellung davon machen sollte, wie er diese gestalterische Freiheit zu nutzen gedenkt.

Vollkommenheit entsteht offensichtlich nicht dann, wenn man nichts mehr hinzuzufügen hat, sondern wenn man nichts mehr wegnehmen kann.

(Antoine de Saint-Exupéry)

Die Schärfentiefe stellt für den Fotografen ein ideales Mittel dar um wegzulassen. Obwohl es technisch gesehen nur die eine Schärfentiefe gibt, kann die Gestaltungsabsicht des Fotografen durchaus unterschiedlich sein:

Tiefe andeuten

Ebenen. Bild: Michael Albat

Den Blick in die Tiefe lenken.
Bild: Ursula Battanta

Selektive Schärfe

Schärfe ist ein Träger von Rauminformation - eine spezifische Tiefe im Raum wird durch die Schärfeebene ausgezeichnet, unscharfe Bildpartien liegen entweder davor oder dahinter. Im Bild entsteht somit automatisch ein Bereich Motivebene.

Ein unscharfer Vordergrund lenkt den Blick in die Tiefe. Entsprechend bleibt der Blick im Vordergrund haften wenn der Hintergrund unscharf ist. Schärfe ist also nicht nur ein probates Mittel zur Raumandeutung, sondern auch zur Lenkung der Aufmerksamkeit in der Raumtiefe.

Besonders deutlich kommt dies zum Ausdruck, wenn die Ebenen nicht nahtlos ineinander übergehen, sondern durch klare Abstände voneinander getrennt sind, für den Blick in die Tiefe ergibt sich dann je nach Grösse des Durchblicks ein Rahmen oder ein Schlüssellocheffekt.

Selektive Schärfe

Ein scharfer Bereich in einem unscharfen Umfeld erwirkt unmittelbar die Aufmerksamkeit des Betrachters. Schärfe und Unschärfe sind ein subtiles Steuerelement für die Figur-Grund Beziehung.

Die Unschärfe löscht bei nicht allzu fernem Hintergrund oftmals nur die feinen Strukturen aus, durch den Grad der Unschärfe lässt sich genau soviel zu zeigen wie dem Bild dienlich ist. Die Unschärfe greift hier vor allem in die Darstellung der Struktur ein. Mit zunehmender Unschärfe wird der Hintergrund (respektive der Vordergrund) seiner feinen Struktur beraubt und dadurch immer mehr abstrahiert, bis er nur noch farblich wirksam ist.

Objekte im Hintergrund treten daher weiter schemenhaft in Erscheinung und zeichnen eine grobe Skizze des Umfeldes, während die Schärfe das Detail in dessen Einbettung zu zeigen. Es entsteht ein Kontext zwischen Motiv und Umfeld mit einer vorgegebenen Gewichtung. Der unscharfe Bildanteil ist also nicht einfach unwichtig, sondern ein Gegenpart zum scharfen Bildbereich.

Auch bei der selektiven Schärfe gibt es ein Gleichgewicht, um ein Detail in Schärfe herauszuheben wird zumeist ein vergleichsweise grösserer Bereich in Unschärfe benötigt.

Ist der Hintergrund oder Vordergrund für die Bildaussage nicht von Bedeutung, so kann er durch Unschärfe zumindest beruhigt werden.

Hier steht den Schwarzweissfotografen eine noch stärkere Reduktion zur Verfügung, indem sich der Hintergrund bei Gestaltung in schwarz-weiss auch farblich nicht mehr bemerkbar machen kann. Vom ursprünglichen Hintergrund bleibt bei maximaler Unschärfe dann nur noch ein grossflächiges Hell-Dunkel-Muster übrig.

Durchgehende Schärfe

Durchgehende Schärfe

Es gibt natürlich auch Bilder mit grösster Schärfentiefe, bei welchen von vorne bis hinten alles durchgehend scharf abgebildet ist.

Beweggrund für eine solche Abbildung kann eine angestrebte Sachlichkeit sein. Jede subjektive Interpretation des Betrachters soll möglichst ausgeschlossen werden, das abgebildete Objekt möglichst auch in den Details genau und vollständig erkennbar sein. Eine von vorne bis hinten durchgehende Schärfe ist dafür ein geeignetes Gestaltungsmittel, eine nicht zu kontrastreiche, sachliche erscheinende Ausleuchtung ebenfalls.

Nebst der sachlichen und objektiven Darstellung ergibt sich durch Schärfe und Unschärfe auch eine Warm-Kalt-Tendenz:

Fotografische Trends

Aktuelle günstige Digitalkompaktkameras haben oftmals sehr kleine Bildsensoren, die damit produzieren Bilder weisen fast zwangsläufig grösste Schärfentiefe auf, ein Gestalten mittels selektiver Schärfe ist praktisch nur im unmittelbaren Nahbereich möglich. Eine Schärfeselektion innerhalb des Bildes bei üblichen Motiven findet daher meist nicht mehr statt, die im Bild enthaltenen Einzelelemente können ihre kompositorischen Konflikte offen austragen.

Daraus hat sich in den Anfangszeiten der zunehmenden Verbreitung von Digitalkameras ein neuer Look herausgeprägt. Ein zusätzlicher, objektivnaher Frontalblitz sorgte für eine flache Ausleuchtung, ein nachsättigen der Farbe per Software ergabt den notwendigen Pepp für das Bild. Et Voilà, schon war eine Bildsprache der aktuellen Generation geboren. Nicht unerwähnt bleiben sollte, das eine solche Bildsprache einen sehr hohen, aber nicht unmöglichen Gestaltungsgrad verlangt, wenn das Bild mehr sein soll als ein kurzlebiges Livestyle-Produkt.

Interessant ist, dass gleichzeitig auch ein Gegentrend ins andere Extrem mit ausgeprägter selektiver Schärfe bei sehr geringer Schärfentiefe entstand.