Fläche und Form

Alle Produkte der Menschen haben Gestalt, Form und Struktur. Daher sind sie, was immer sie bezwecken, selbst in ihren Bezweckungen ästhetisch auffassbar.

(Burghart Schmidt)

Nach Punkt und Linie steht die Fläche in logischer Folge durch Zugewinn einer weiteren Dimension.

unbegrenzte Fläche als Träger von Struktur.

Elementare Formen.

Wie auch die Linie kann eine Fläche begrenzt oder unbegrenzt in Erscheinung treten, wobei unbegrenzt nicht in konsequenter Weise zu verstehen ist, da bei der Fotografie spätestens der Bildrand eine Begrenzung darstellt. Die Fläche ist aber zumindest als jenseits der Bildfläche unbegrenzt weiterführend denkbar. In ihrer unbegrenzten Ausprägung ist die Fläche an sich ein abstrakter Begriff und wird in der Komposition nur indirekt wahrgenommen als Träger von Struktur (Textur) oder Farbinformation.

Form

Sobald die Fläche eine Wahrnehmungsgrenze hat, im simpelsten Fall ist dies ein Rand, wird sie als Form wahrgenommen. Bei dieser begrenzten Fläche werden in erster Linie die Ecken wahrgenommen, danach die Kanten und erst in dritter Linie der Flächeninhalt aufgrund seiner Struktur. Die Erscheinungsform ist also primär ihre äussere Form und nicht deren Inhalt.

Die Elementare Form

Um die bevorzugte Wahrnehmung der Form zu verstehen brauchen wir den Begriff der elementaren Form. Die elementaren Formen sind gewissermassen die Atome der Form. Es sind dies der Kreis, das Oval, das Quadrat, das Rechteck sowie das Dreieck. Jede dieser elementaren Formen hat bezüglich Formeigenschaften ihren urtümlichen, die Empfindung bestimmenden Fingerabdruck, welcher sie auszeichnet. Jede weitere Vereinfachung dieser Formen würde dazu führen, dass die Form ihre charakteristischen Eigenschaften verlieren würde. Würde zum Beispiel ein Rechteck zu einem Quadrat vereinfacht werden, so würde es dadurch auch seine Richtungstendenz (Hoch oder Breit) einbüssen.

Um gegen die Formvielfalt anzukommen wird die Wahrnehmung soweit geordnet und vereinfacht bis wir das Gesehene in Elementen der Grundstrukturen erfassen können. Diese Grundstrukturen bilden also gewissermassen den visuellen Wortschatz unserer Wahrnehmung.

Ein Rechteck als Negativ-Form.

Ergänzung eines Punktmusters zum Quadrat.

Diese Formwahrnehmung wird bei nebenstehendem Bild deutlich. Von den meisten Betrachtern wird wohl ein auf einer Spitze stehendes Rechteck wahrgenommen, obwohl diese Form materiell nichtexistent ist, die Form tritt in unserem Beispiel als Negativ-Form in Erscheinung. In der Figur-Grund-Beziehung übernimmt hier also eine virtuelle Form den Part der Figur. Auch der vereinfachende Aspekt ist zu erkennen. Notwendige ist eine gewisse Toleranz bezüglich der Parallelität der Seiten, die Winkel betragen nicht genau 90°. Trotz dieser Mängel wird die auf der Spitze stehende Form problemlos als Rechteck wahrgenommen.

Aber nicht nur geschlossene Formen werden gedanklich ausgebessert, auch Punktmuster werden in Gedanken oft zu Formen ergänzt, ähnlich der virtuellen Linie.

Formen, welche infolge eines Anschnittes oder einer Überdeckung nicht vollständig dargestellt sind, werden durch den Wahrnehmungsapparat gedanklich ergänzt.

Der Schwerpunkt

Die Form hat also einen abgegrenzten Inhalt, Inhalt hat ein Gewicht, die Form also eine Masse und somit einen Schwerpunkt. Dieser stellt das gefühlsmässige Zentrum der Form dar. Es handelt sich dabei jedoch nicht um ein wissenschaftlich genau ermittelbares Schwerezentrum im physikalischen Sinne, da verschiedene Farben, Licht oder wechselnde Struktur zu unterschiedlicher Wahrnehmung von Flächenanteilen führen. Bei komplexen Formen, welche aus mehreren elementaren Formen zusammengesetzt empfunden werden, können unter Umständen sogar mehrere Zentren wahrgenommen werden.

Das Formzentrum respektive der empfundene Schwerpunkt zeichnet einen Ort innerhalb der Form speziell aus. Die Form selbst kriegt dadurch zusätzlich auch einen Punktcharakter, die Form nimmt in der Empfindung einen genau definierten Ort innerhalb der Komposition ein. Zusammen mit einem bildbestimmenden Punkt ausserhalb der Form ergibt sich ein Zweiklang zwischen zwei nichtgleichwertigen Elementen, ein Flächen-Punkt-Kontrast, welcher vor allem ein exzessiver Mengenkontrast darstellt durch starke Ausprägung des Gross/Klein-Aspektes.

Aussen und Innen

Form als Bildelement und äussere Begrenzung
einer weiteren inneren "Komposition".

Wie schon bei der Linie ergibt sich durch die Form eine Trennung von zwei Bereichen. Waren es bei der Linie zwei jeweils offene Bereich beidseitig der Linie, so ergibt sich bei der Form ein offener Bereich ausserhalb und ein geschlossener Bereich innerhalb der Form. Jede Form kann daher in zwei Ebenen betrachtet werden:

Dem zweiten Fall begegnen wir regelmässig als Bildfläche. Es muss sich aber keinesfalls um die Bildbegrenzung handeln, die Form kann auch innerhalb eines Bildes als geistige Klammer der in ihr enthalten Teilkomposition dienen.

Während der Schwerpunkt der Form die Aufmerksamkeit eher in ihr Inneres richtet, die Form also egozentrisch werden lässt, so wirken deren Ecken und Kanten als Kommunikationselemente nach aussen, insbesondere zur Bildfläche. Derart ergeben sich auch Bezüge zwischen Elementen welche nicht auf der Position von Schwerpunkten beruhen. Nicht zuletzt bestimmen Formsymmetrien die Orientierung der Form innerhalb der Komposition, zum Beispiel als gerade oder schräg.