Auf den Punkt gebracht...

...bedeutet in der knappest möglichen Form.

Offengestanden finde ich es mit der Tupfenmalerei bei Jawlensky nicht ganz richtig. Diese Art kann sich jeder nehmen, wenn er Lust dazu hat.

(Wassilij Kandinsky über Alexej Jawlensky)

Der Punkt in der Fotografie darf nicht gleichgesetzt werden mit der strengen Punktdefinition der euklidschen Geometrie. Der Punkt des Fotografen hat eine Abmessung, er hat eine Form und er hat auch eine Struktur. Aber er ist klein, klein im Vergleich zum Rest im Bild. Der fotografische Punkt definiert sich somit immer im Bezug zum gesamten Bild. In einem grossen Bild kann selbst ein Punkt gross sein.

Kleine, grössere und grosse Punkte

Als Punkt wird betrachtet, was als Punkt ins Auge fällt. Eine Fläche kann durchaus eine aus Punkten bestehende Textur haben, da unser Sehapparat eine Gesamtheit sucht werden wir diese Punkte nicht bewusst als Punkte wahrnehmen, wir werden die Fläche, respektive deren Form erkennen. Um als Punkt wahrgenommen zu werden, muss der Punkt selbst eine eigenständige, abgeschlossene Form aufweisen. Dadurch ergibt sich die Tatsache, dass der Punkt Struktur, Form und Farbe haben kann. Infolge seiner Kleinheit nehmen wir beim Punkt jedoch kein "Innen" wahr, er hat nur ein "Aussen".

Erreicht der Punkt eine gewisse Grösse, so wird seine Form offensichtlich, der Punkt wird nicht mehr als Punkt, sondern als Fläche wahrgenommen.

Da ausserdem der Punkt eine komplizierte Einheit ist (seine Grösse + seine Form), so lässt sich leicht vorstellen, welcher Sturm von Klängen bei immer weiterer Häufung von Punkten auf der Fläche sich entwickelt [...] und wie sich diese Sturmentwicklung weiter ausbreitet, wenn im weiteren Verlauf Punkte von verschiedenen, immer wachsenden Ungleichheiten der Grösse und Form auf die Fläche hingeworfen werden.

(Kandinsky, Punkt und Linie zu Fläche, Seite 38)

Die Lage des Punktes

Auszeichnung eines Ortes im Bild durch einen
Punkt.

Der Punkt markiert einen Ort, er zeichnet diesen Ort speziell aus. In der Figur-Grund-Beziehung erfüllt ein fotografischer Punkt somit bestens die Kriterien als Figur, kleinere Flächen werden als Figur bevorzugt. Der Punkt zieht somit Aufmerksamkeit auf sich.

Da der Punkt einen Ort auszeichnet ist er auch Träger der Bedeutung Ruhe. Ein bewegter Punkt bedeutet Ortsveränderung, steht für Bewegung, wird dabei aber zur Linie.

Da Figur und Grund nicht gleichzeitig wahrgenommen werden können lenkt ein Punkt somit auch von anderen Bildelementen ab. Dies ist ein Vorteil wenn der Punkt im Bild tatsächlich die Funktion der Figur hat, aber ein immenser Nachteil, wenn dies nicht der Fall sein sollte. Vermutlich kennen sie alle die zerstörerische Wirkung eines herumliegenden Papierchens auf die Bildwirkung. In diesem Zusammenhang spricht man vom störenden Punkt.

Imaginäre Punkte

Punkte entstanden durch Linien.

Punkte können auch durch andere Figuren im Bild entstehen, etwa wenn sich Linien kreuzen. Mit etwas abgeschwächter Wirkung haben auch die Enden von Linien oder Ecken von Figuren diese Wirkung. Es sind dies alles Positionen im Bild welche gewissermassen durch Objekte im Bild markiert werden und durch diese Auszeichnung als Punkte empfunden werden. Dadurch ziehen diese Stellen Aufmerksamkeit auf sich. Natürlich müssen sie dadurch entsprechend im Bild platziert werden.

Kandinsky, dessen Theorien sich in seinen Bildern nicht widerzuspiegeln schienen

(Man Ray)

Mehrere Punkte

Ein virtuelles Dreieck, angedeutet durch Punkte

Der Vorgang geht aber grundsätzlich auch umgekehrt: Zwei Punkte können die Spitzen einer virtuellen Linie bilden.

Finden sich auf einer Bildfläche zwei Punkte, so kann zwischen diesen beiden Punkten eine optische  Konkurrenz entstehen, der Blick des Bildbetrachters wird dann zwischen diesen beiden Punkten hin und herpendeln. Es gibt mehrere Möglichkeiten, mit dieser Situation zu verfahren: