Das kann ich auch …

…eine Buchempfehlung:

An der Documenta in Kassel ist wieder mal ein Kunstwerk verschwunden. Von der Strassenreinigung, als solches nicht erkannt, wurde es beseitigt und damit in die berühmt berüchtigte Reihe verkannter Kunstwerke eingereiht, deren wohl bekanntestes Mitglied die Fettecke von Joseph Beuys war.

Insgeheim dürfte die Putzaktion der Sache eher genutzt als geschadet haben. Nebst der Aufmerksamkeit, welche das Zeit-Kunstwerk kurzfristig erhalten hat, beschäftigen sich jetzt sicher viele mit moderner Kunst, die meisten wohl indem sie sich die Augen reiben und ihrer Verwunderung durch ein trotziges Das kann ich auch! Ausdruck verleihen.

Kannst Du nicht

Unter diesem Titel hat der Dumont Verlag ein Buch herausgegeben, der Untertitel lautet Gebrauchsanweisung für moderne Kunst.
Gleich zu Beginn: Instinktiv erwartet man bei diesem Thema viel unverständlich hochgeschraubte Theorie. Das Buch muss diese Erwartung enttäuschen, die Autoren (Christian Saehrendt und Steen T. Kittel) schreiben sehr augenzwinkernd, die Lektüre ist äusserst kurzweilig und das Buch lässt sich durchaus am Stück lesen, das ist schon mal eine beachtliche Leistung.

Im ersten Kapitel gilt es, den Schadensplatz erstmal zu besichtigen, da steht viel unrundes rum, u.a. Provokation als Kunst, die Öde des Minimalismus, Inszenierungen, Performance und Aktionskunst, voller Körpereinsatz und kopflastige Konzeptkunst. Kein Auge bleibt trocken, jeder Mensch ist ein Künstler (Joseph Beuys) und Künstler ist ein Beruf wie jeder andere (Andy Warhol).

Das zweite Kapitel widmet sich dem Kunstbetrieb: Die Galeristen als selbsternannte Missionare und Künstler als ihre Rohmasse. Aber es gibt auch die Supertanker des Kunsthandels, die Auktionshäuser. Eine wichtige Rolle spielt der Sammler, Kunst wird durch ihn zum Spekulationsobjekt. Das ganze funktioniert ähnlich einer Aktienbörse, aber ohne Regeln und praktisch nur Insider.
Museen finden auch Erwähnung. Sie dürfen ungeliebte Kunst der Sammler als Leihgaben ausstellen, dienen als preissteigernde Durchlauferhitzer junger Kunst und verleihen dem Sammler die gewünschte Achtung als Kulturwesen, während das Riesenheer erfolgloser Künstler sich als Kellner oder Taxifahrer durchschlägt.

Der dritte Teil: Vollkontakt mit dem Kunstmob, damit sind sie und ich gemeint, wenn wir versuchen, die Hölle einer Vernissage zu überleben oder den entmündigenden Museum-Spiessrutenlauf mit Kopfhörerführung krampfhaft Haltung bewahrend mitmachen. Kunst wird als Event für ein Massenpublikum gestaltet … übrigens, haben sie schon mal die Mona Lisa gesehen?

Für den Praktiker ist das vierte Kapitel, Das sagt mir was!. Wie spricht man über Kunst? Der Text gibt Anleitungen, um die eigenen Sprechblasen bedeutungsvoll zu füllen. Wichtig ist dieses Kapitel auch, weil es verrät, wie man sich beiläufig negativ äussert, ohne dass der Künstler sich gross wehren kann: Das erinnert mich irgendwie total an … Picasso! Grosses Lob! Der Picassovergleich hat einen boshaften Kern: Alle, die ein bisschen Ahnung von Kunst haben, hassen Picasso, diesen ewig geilen Greis, rücksichtslosen Frauenverbraucher, künstlerischen Opportunisten und hemmungslosen Massenproduzenten.

Im 5ten und letzten Kapitel bleibt dann noch zu erläutern, woran schlechte Kunst zu erkennen ist. Der Kunstbegriff wurde derart stark bearbeitet, dass er ausgefranst wie ein Teppich von Ikea. Dilettantismus als Konzept, Size matters, hochtrabende Titel und Grössenwahn, Tabu als Geschäftsroutine oder einfach nur Meine Kunst bin ich. Auch ein Genie ist nur ein Mensch, für die Koalition der Verzweifelten bietet das Kapitel ein kleines Erste-Hilfe-Set an Hinweisen, wie man im Ernstfall erkennen kann: Vorsicht schlechte Kunst!

Irgendein Lehrer hatte mir mal beigebracht versucht beizubringen, Kunst komme von Können. An den Satz mag ich mich erinnern weil er ganz offensichtlich falsch ist. Mein Gedanke war, Kunst kommt vom Künstler. Dies war ein Gedanke, welcher viel Bestätigung erfuhr, insbesonders auch von Künstlern, weshalb es auch gedauert hat, bis ich meinen Irrtum begriff. Nach der Lektüre dieses Buches weiss ich: Kunst kommt vom Kunsthändler.

Zum Schluss noch ein Zitat von Rainald Goetz: Das ganze Kasperletheater mit der gegenwärtigen Kunst ist eine solche Befreiung, es kann für mich gar nicht hysterisch genug sein.

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