Wie wendet man Kompositionsregeln beim Fotografieren an? Diese dürfte immer dann eine zentrale Fragen sein wenn Bücher oder Webseiten zum Thema Bildgestaltung gelesen werden.
Wenn ich mir das eigene diesbezügliche Vorgehen beim Fotografieren überlege komme ich zum Schluss, dass ich diese Regeln beim Fotografieren nicht im eigentlichen Sinne anwende. Ihren Nutzen entwickeln diese Kompositionsregeln eher indem ich über sie nachdenkte wenn ich nicht am Fotografieren bin, mir jedoch von den einzelnen Fragestellungen dies sich dazu ergeben versuche einen Begriff zu machen.
Ein paar Kurzgedanken dazu:
- Um über eine Sache nachzudenken muss man sich dazu einen Begriff machen, resp. davon einen Begriff haben.
- Es lässt sich nicht denken wovon man keinen Begriff hat.
- Der gemachte Begriff stellt eine Abstrahierung dar. Wird der Begriff verwendet, so stehen dahinter jeweils das ganze Set einzelner Bedeutungen, welches zu eben diesem Begriff führte und fortan zusammen diesen Begriff ausmacht.
- Die Sprache entscheidet somit, wie und worüber wir denken.
Ein Beispiel um diese zu verdeutlichen: Ich hatte mal einen Chef, welcher gerne mit Kunden ins Labor kam und jeweils die Aufgabe stellte: «Erklären sie in einem Satz was sie hier machen». Diese Aufgabe konnte meinerseits auf zwei Arten nicht erfüllt werden:
- Die erste Möglichkeit bestand in der Verwendeung von Fachbegriffen, bekanntlich lassen sich mit den richtigen Begriffen auch komplexere Zusammenhänge in einfachen Sätzen darstellen. Das Problem bestand darin, das Fachbegriff mit der fachgebietspezifischen Art des Denkens verknüpft sind und deshalb nur innerhalb des Fachgebiets verstanden werden.
- Die andere Möglichkeit des Misserfolgs bestand darin, die notwendigen Zusammenhänge in der Antwort ebenfalls kurz anklingen zu lassen und dadurch den vorgegebenen Rahmen zu sprengen.
- Was der Chef nie erfuhr: Es gab noch eine dritte Art, die Aufgabe nicht zu erfüllen. Ich verwendete jeweils Begriffe aus seiner Begriffswelt – er glaubte dann unter dem gesagten etwas zu verstehen und zog anschliessend weiter. Was im Labor vor sich ging erfuhr er nie.
Abstrahierungen wohnt die Gefahr inne, dass man das individuelle in ihnen vergisst und der Begriff sich von der realen Welt absetzt und verselbstständigt. Dies kann unbeabsichtigt geschehen, kann aber auch beabsichtigt sein, bei politisch korrekten Begriffen zum Beispiel, oder zur Vertuschung der wahren Verhältnisse (wie z.B. beim Begriff «Kollateralschaden»). Dies sind dann die unglücklichen Momente, wenn wir nicht mehr verstanden werden – siehe Finanzbranche – oder eine Theorie nicht mehr in Praxis umsetzen können – z.B. bei der fotografischen Bildgestaltung.
Zurück zur Fotografie also. Nehmen wir als Beispiel die ausgelutschteste aller Regeln, den goldenen Schnitt. Anwenden bedeutet in diesem Falle, irgendeinen Punkt im Motiv zu wählen und diesen irgendwo innerhalb des Bildes zu plazieren, dass sich irgendwelche Verhältnissen im goldenen Schnitt einstellen. Dies ist doch recht unspezifisch – es wird gleich noch unspezifischer wenn wir uns die Alternative offenhalten, den Punkt nicht nach diesen Verhältnissen zu plazieren. Wir können uns daran halten oder eben nicht – so gesehen gibt die Regel genau gar nichts vor. Der Verdienst dieser Regel besteht darin, dass sie einen Begriff als Einfallstor zu einem Fragenkomplex betreffend der Einteilung der Bildfläche, resp. zu geometrischen Verhältnissen innerhalb des Bildes liefert.
So gesehen: Der Aufbau des Fotografen erfolgt parallel mit dem Aufbau von fotografischen Begriffen, zu welchen der Fotograf sich Gedanken macht. Der erste Begriff mag vielleicht «Schärfe» sein – fortan gibt er sich Mühe ein scharfes Bild zu erzielen. Bei Porträts wird der Kopf aber weiterhin in der Mitte des Bildes zu liegen kommen, weil der Fotograf sich dazu noch keinen Gedanken macht. Später wird er aufmerksam auf die Bildeinteilung, beginnt auf die Höhe des Horizontes zu achten – gleichzeitig wird er diesen auch gleich gerade ausrichten – und das Gesicht im Bild wird erstmals gezielt plaziert. Dies bedeutet jetzt nicht, dass das Gesicht nicht in der Mitte des Bildes sein wird, aber falls dem so ist wurde es vom Fotografen so plaziert während es zuvor nur dort zu liegen kam.
So führt jeder Begriff zur Bildgestaltung zu einem zusätzlichen Element. Der Fotograf wird diese Elemente intuitiv anwenden, so wie er eine Sprache spricht ohne andauernd deren Grammatik in Gedanken zu verfolgen. Jeder gestalterische Begriff wird so zu einem Wort im gestalterischen Wortschatz. Gleichermassen wie wir beim Sprechen auch nicht versuchen jedes uns bekannte Wort möglichst zu verwenden, wenden wir für die Gestaltung eines Bildes diejenigen Elemente an, welche sich im Bildgefüge als passend erweisen und erkennen, wenn sich ein ungewolltes Element einschleicht.
Gruss
Andreas
Im Prinzip hast Du ja völlig recht. Aber was ist, wenn sich die Elemente einer bestimmten Sprache, hier die der Sprache der Malerei mit Punkten, Linien und Flächen wie sie in den Büchern auch zur Fotografie beschrieben sind, gar nicht auf mein Vorhaben oder Gebiet anwenden lassen? Was, wenn ich herausfinde, dass ich zwei Menschen – gedacht als Punkte – gar nicht frei Anordnen kann, weil meine Kamera keinen Mensch-Move-Knopf hat?
Nur wenn ich den Bildausschnitt oder die Realität verändere, verändert sich das Bild im Sucher, eine andere Möglichkeit habe ich nicht. Ich könnte die eine Person höflich bitten, sich etwas nach rechts oder links zu bewegen. So würde sich die Position der beiden zueinander ändern. Der Maler hat es da einfacher und kann die beiden dahin malen, wo er will, ganz nach Gutdünken oder Kompositionsregeln.
Etwas schwieriger für den Fotografen wird es mit dem Horizont oder den Bergen. Die kann er nicht wo anders hinbeordern. Was er machen kann, ist den Bildausschnitt zu wählen. Je nachdem, wie er seine Kamera hält, sieht er den Horizont an einem anderen Ort im Sucher oder auch gar nicht mehr. Ihn relativ zu den anderen Dingen im Bild wo anders anordnen als da wo er in der Realität ist, kann er nicht. Der Maler kann das. Den Wald etwas grüner und das Haus als idyllisches Riegelhaus darzustellen sowie die störende Strasse gleich wegzulassen ist nur dem Maler möglich.
Gewisse Bilder im Sucher werden mir besser gefallen als andere, lösen in mir andere Gefühle und Empfindungen aus. Unter all den möglichen Bildausschnitten kann ich nun wählen und es fragt sich, welcher für mich der beste, der schönste oder was auch immer ist.
Wo soll dieser Horizont also hin? Ganz oben? Etwa in die Mitte oder irgendwie im Goldenen Schnitt? Sag mir, was du aussagen willst und ich sag dir, wo der Horizont hingehört. Aussagen bedeutet kommunizieren und dies wiederum hat im Zusammenhang mit Fotografie viel zu tun mit nonverbaler Kommunikation und Konventionen.
Der Maler nimmt eine weisse Leinwand und beginnt mit Stift, Pinsel oder Spachtel Farbe darauf aufzutragen, die Malfläche aufzuteilen, Formen zu bilden, sein Bild zusammensetzen, zu komponieren. Der Fotograf mit seinem Apparat kann das nicht. Sein Werkzeug, die Kamera, kann nur ein Stück Wirklichkeit sehr genau optisch auf eine zweidimensionale Fläche abbilden. Er muss anders vorgehen, auf anderes achten. Zusammensetzungsregeln helfen ihm da wenig.
Der Versuch, mit Malregeln und der «Sprache» der Malerei ein Foto zu machen, muss zwangsläufig scheitern. Auch wenn ich noch so fest über diese Sprache und deren Worte nachdenke. Eine Fotografie mit Malregeln zu analysieren ist wiederum eine ganz andere Sache.
Je länger ich mich mit Fotografie beschäftige desto wesentlicher reduzieren
sich die technischen und gestalterischen Eckwerte welche für mich ein
gelungenes Abbild ausmachen auf ein paar einfache Punkte.
Kaum mehr in der Anzahl als die Finger einer Hand.
Schärfe oder genauer der Bereich welchen wir durch den Fokus freigeben
und die Wesentliches vom Unwesentlichen – Wichtiges vom Unwichtigen trennt
und den Blick des Betrachter zum eigentlichen Thema führen.
Beleuchtung oder besser gesagt das Licht welches dem Objekt eigentliche Tiefe und Struktur gibt und uns über dessen Verlauf oder Kontrast Formen erst erkennen lässt.
Gestaltung oder auch Komposition genannt welche die Dinge ordnet,
ihnen eine Gewichtung oder Beziehung gibt.
Aussage oder deutlicher Inhalt welcher uns eine Botschaft sendet oder
in uns Gefühle erweckt.
Der Fotograf hat als letzteres nicht mehr oder weniger zu tun als diese Punkte
ins Gleichgewicht zu bringen. Da aber alle diese Faktoren veränderlich sind
gibt es keine Bauanleitung mit der man allen Motiven gerecht werden kann.
Was logisch ist da sich ein Blumentopf sehr von einer entkleideten Schönheit
unterscheidet. Wie schon erwähnt sind Schärfe-Beleuchtung-Gestaltung und
Aussage als „Finger“ zwar wichtig aber ohne den Fotografen als „Daumen“ welcher letztendlich alles zusammenhält bedeutungslos.
Fotografie ist ein Medium, ein Träger einer Botschaft welche erst verstanden
werden muss.
So gesehen ist der Empfänger (Leser der Mitteilung) wichtiger als der ganze
Zirkus der zur Entstehung des Bildes beiträgt.
@Randle P. McMurphy
Ja, zum Schluss ist der Empfänger wichtiger als das Bild. Aber zuerst muss einer ein Bild machen, bevor man es ansehen kann. Und somit wären wir wieder beim Produzenten, dem Fotograf und der Herausforderung, ein Bild zu machen, das Träger einer Botschaft ist, die der Empfänger auch versteht.
Schärfe, Beleuchtung, Gestaltung und Aussage ins Gleichgewicht gebracht, sind für Dich die Ingredienzien für dieses Bild. Damit wäre das Womit für Dein Rezept geklärt. Nun ist das Wie noch offen und wir sind beim Zirkus angekommen.
Manch einem reicht ein kleiner Zirkus: Point and Shoot. Bei Annie Leibovitz ist der Zirkus schon etwas grösser. Will einer einen kleinen Zirkus leiten, um beim Bild zu bleiben, ist das schnell erklärt. Beim grossen Zirkus wird’s komplexer. Und soll das Vorhaben dann auch noch von Erfolg gekrönt sein, ist das richtige Vorgehen und der geschickte Einsatz der Mittel entscheiden. Womit wir bei den Gestaltungsmittel der Fotografie angelangt wären.
Dem fotografischen Anfänger zu sagen, mach es mal wie die Maler, nimm den Goldenen Schnitt und leg den Horizont dort hin ist schnell gesagt. Und weil es bei den Malern funktioniert, könnte es ja in unserem Zirkus auch helfen. Doch kann der Anfänger damit unseren Zirkus zum Erfolg bringen? Habe ich ihm überhaupt den richtigen Tipp gegeben? Womit wir bei den Regeln wären und welche davon in der Fotografie einsetzbar sind und warum. Oder überhaupt, wie Andreas fragt.
Das spezielle an der Fotografie ist, dass es auch ohne den ganzen Zirkus geht. Aber nur mit sehr viel Glück oder unverschämt viel Talent. Wie so viele habe ich selten Glück beim Fotografieren und versuche deshalb, dem Glück etwas nachzuhelfen.
Das Womit hast Du mir erklärt. Kannst Du mir auch etwas über das Wie sagen?
Nicht ganz ernst gemeinte Vorschläge für das WIE und den Einsatz von Regeln. Aber auch darin steckt ein Fünklein Wahrheit.
Ganz einfach (für den Einsteiger):
1. Wo du auch gerade bist, entspann dich und halte die Kamera locker vor dich hin, so dass du das Display gut einsehen kannst.
2.Wenn dir Gefällt, was Du im Display siehst, drücke ab.
3. Wenn nicht, ziele mit der Kamera wo anders hin und gehe zurück zu Punkt 2
Jetzt noch hochladen und fertig!
Etwas komplizierter (Pro-Variante mit Regeleinsatz):
1. Wo du auch gerade bist, entspann dich und halte die Kamera locker vor dich hin, so dass du das Display sehen kannst.
2. Kippe die Kamera so lange hin und her, bis der Horizont im Goldenen Schnitt ist.
3. Wenn dir Gefällt, was Du im Display siehst, drücke ab.
4. Wenn nicht, ziele mit der Kamera wo anders hin und gehe zurück zu Punkt 2
Noch umständlicher aber nun ernst gemeint (Pro-Variante / interpretierende Fotografie, / ohne Regelhinweise):
siehe «http://www.ramer-photographie.ch/Wordpress/rpblog/von-der-vision-zum-foto/»
Dschuldigung, ich habe noch vergessen zu erwähnen, dass das 2. Vorgehen einen kleinen Haken hat, denn auf den meisten Displays ist der Goldene Schnitt nicht eingezeichnet. Daher empfiehlt es sich, ein Buch über Bildkomposition in der digitalen Fotografie zu lesen. Da ist er meist unter «Regeln» aufgeführt. Da steht dann zum Beispiel: «Beim Goldenen Schnitt handelt es sich um eine Kompositionsregel, die davon ausgeht, dass das Positionieren des Hauptmotivs in der Bildmitte keine Spannung beim Betrachter erzeugt. Viele bekannte Bilder – ob Gemälde oder Fotografie – sind – bewusst oder unbewusst – daher nach dem Prinzip des Goldenen Schnittes aufgebaut. Aber man muss sich nicht sklavisch daran halten, um ein aussagekräftiges Bild zu gestalten, denn auch der Bruch mit dieser Regel kann sehr spannende Bilder entstehen lassen.» (Bildkomposition und Bildwirkung in der Fotografie, Seite 73).
Nebenbei bemerkt ist der Goldene Schnitt keine Kompositionsregel, sonder die Bezeichnung für ein bestimmtes Teilungsverhältnis einer Strecke.
Roger – entschuldige aber möglicherweise reden wir aneinander vorbei.
Das «Womit» wird in unzähligen Foto-Foren bis zur Unkenntlichkeit – wiedergekäut.
Welche Kameramarke und Optik mit welchen Zubehöhr scheint mir inzwischen unbedeutend.
Haben sich denn die Gesetze der Physik seit der Erfindung der Photografie
inzwischen geändert ?
Fällt nicht weiterhin für eine gewisse Zeit Licht auf einen lichtempfindlichen Informationsträger und entsteht damit nicht ein negatives oder positives Abbild
der Wirklickheit ?
Das «Wie» kling zwar interessanter ist aber ganz alleine von Deiner persönlichen
Vorstellung abhängig. Ich meine dem Bild das in Deinem Kopf ist bevor Du auf den
Auslöser Deiner Kamera drückst. Da ich mich privat haupsächlich für Menschen begeistern kann habe ich hier jede Menge Beispiele im Kopf die mir bei einem Portrait einer Person in den Sinn kommen. Inszenierungen mag ich nicht. Posen genau so wenig.
Auch das Licht bzw. die Beleuchtung ist bei Fotografie von Menschen nicht unbedingt
ein Buch mit sieben Siegeln. Letzen Endes beginnt das «Wie» immer damit das man(n)
versucht Fotografien die einem selbst gefallen zu reproduzieren und aus den Fehlern
lernt oder das erlernte verfeinert.
I say let us never be complete, I say let us evolve….let the chips fall where they may. (Fight Club)
Das «Wie» verändert sich bei mir ständig. Zur Zeit fotografiere ich fast nur noch auf
der Straße mit Kleinbild und höher empfindlichen Schwarz-Weiss-Film. Man(n) ist
schneller dabei – wechselt unkomplizierter das Umfeld und kann sich von der Technik
losgelößt alleine auf das Motiv konzentrieren. Blende 5,6 und Zeitautomatik – fertig.
Morgen werde ich vielleicht eine alte 4×5″ Kamera aufs Stativ schrauben und eine
Studiolampe in die rechte Ecke stellen – links eine große Styroporplatte zur Aufhellung
und wieder nur versuchen ein Teil der Person (oder Persönlichkeit) vor mir einzufangen.
Technik ist nicht wichtig – wichtiger ist zu wissen was man genau fotografieren will.
Wichtiger ist das Bild schon im Kopf zu haben – bevor man die Knipse aus der Kiste holt.
Wenn man diese Bilder schon im Kopf hat wird einem vielleicht eine antwort auf
die wesentlich wichtigere Frage gegeben: Warum mache ich überhaupt Bilder ?
@ Randle P. McMurphy
Auch für mich spielt die Technik keine Rolle, solange sie mir nicht im Wege steht. Für das Thema «Fotografieren mit oder trotz Regeln?» brauchen wir sie auch nicht zu bemühen. Mit dem «Womit» habe ich die von Dir erwähnten Eckwerte «Schärfe, Beleuchtung, Gestaltung und Aussage im Gleichgewicht» gemeint. Für den Eckwert «Gestaltung» könnte ich mir vorstellen, dass Du beim Fotografieren Regeln einsetzt.
Das Bild im Kopf, die Bildidee, ist mir auch sehr wichtig. David Duchemin nennt sie «Vision» und für deren Umsetzung hat er den «Vision driven Process» definiert, Ich verwende diesen Prozess recht oft. Darin kommen keine klassischen Regeln vor, zumindest nicht vordergründig.
Angenommen, ich habe für mich herausgefunden, warum ich überhaupt Bilder mache und habe eine Bildidee, die ich fotografisch umsetzten möchte. Nun stellt sich mir die Frage: Wie fotografiere ich das und helfen mir dabei Regeln wie z.B. der Goldene Schnitt, um den Horizont zu plazieren?
Fotografierst Du mit Regeln? Und wenn ja, mit welchen?
Möglicherweise ohne es zu wissen – eher aber auch nicht weil mir
pseudowissenschaftliche Formeln zur Erstellung eines aussagekräftigen
Bildes eher suspekt sind.
Hasst eigentlich außer mir auch noch Jemand «Bildbesprechungen» ?
Ich meine die obligatorische Forensülze oder halbakademische Wortschwallerei in der nachträglich versucht wird allerei Absichten und
Inhalte in Werken aufzuzeigen die es gar nicht gibt – zumindest nicht
bevor nachdrücklich darauf hingewiesen wurde ?
Manchmal hege ich bei sowas den verdacht das die eigentliche «Kunst»
darin besteht den Betrachter etwas sehen zu lassen was es überhaupt
nicht gibt. Sind nicht ein Großteil der durch Jahrhunderte Malerei entstandenen Ölschinken der langweilige Versuch einen Augeblick der Wirklichkeit konstruiert einzufangen ? Waren es dann nicht aber Menschen wie Van Gogh – Cezanne – Schiele – Modigliani die durch die Abkehr von der Tradition Werke schufen welche unser Sehen und Empfinden tiefer
und nachhaltiger berührten ? Kann man einen Piccasso nach Regeln nachbauen ?
Kann mir dann vielleicht einer dann bitte die Formel für einen Henri Cartie Bresson, Jim Rakete, Adam Anseln, Invin Penn, Alfred Eisenstedt aufschreiben ?
@Randle P. McMurphy
Wäre es nicht spannend, die Formel für ein typisches Cartie-Bresson-Bild herauszutüfteln? Wäre dies möglich und auch wünschenswert? Einen Versuch wäre es zumindest wert.
Ich stelle mir das so vor:
Ich sehe mir die Bilder von Cartier-Bresson genau an und versuche eherauszufinden, was mich an ihnen so fasziniert und wodurch sie so auf mich wirken. Was macht sein Stil aus, wie lässt er sich beschreiben?
Wie er vorgegangen ist, werde ich wohl nicht herausfinden, auch nicht warum er ein bestimmtes Motiv gewählt hat oder in einer bestimmten Situation wählen würde. (Seine Bücher, Dokumentarfilme mit und über ihn und Interviews mit Freunden geben hier gewisse Hinweise). Die genaue Formel werde ich wohl nicht entwerfen können. Ich denke aber, seinen Bildstil zu analysieren und zu charakterisieren müsste eigentlich gelingen. Oder was meinst Du?
Könnte ich dann Regeln aufstellen, um in diesem Stil Bilder schiessen zu können? Ich glaube schon. Oder was meinst Du?
Ich werde warscheinlich keine piccassoähnlichen Fotos machen können, auch wenn ich den Stil von Picassos Bildern analysiert und charakterisiert habe, denn es sind ja Gemälde und in der Malerei hat man ganz andere Möglichkeiten und daher auch andere Regeln als in der Fotografie. Einen Stier so darzustellen wie Picasso wird mir mit der Fotografie daher nie gelingen.
Iche gebe Dir recht. Die Formel für einen Henri Cartier-Bresson werde ich Dir wohl nicht aufschreiben können. Seinen Bildstil zu beschreiben und daraus Regeln abzuleiten, könnte gelingen. Das wäre doch schon was oder?
P.S.
Mark Moresroe (siehe Fotomuseum Winterthur) kombinierte Fotografie, Fototechnik und Malerei. Bilder wie er sie gemacht hat, werde ich auch mangels Wissens, Könnens und Talent nie hinkriegen. Seinen Stil analysieren und als Grundlage für einen eigenen Stil zu verwenden sollte eigentlich möglich sein.
Gut wir nähern uns langsam einem weitaus iteressanterem Thema.
Weg vom «Wie» hin zum «Warum».
Der Großteil der Bilder mit derer Betrachtung wir uns in Fotoausstellungen
und Internetforen die Zeit vertreiben sind Reproduktionen.
Wäre es wirklich sinnvoll (selbst wenn wir es könnten) uns einen Stil anzueignen
für den sein Schöpfer Jahrzehnte der Entwicklung benötigt hat ?
Ist der Weg dorthin nicht spannender als das Ziel ?
Auch Blitzampeln machen Bilder nach festen Regeln und sogar mit einem
erklärbaren nachvollziehbaren Zweck – was mir bei vielen Amateurfotografen
aber immer noch unergründlich bleibt………deren Regeln und der Zweck der Bilder
meine ich.
Ich verwende je nach Zielpublikum bewusst unterschiedliche Stile: Für die Familienfeier einen eher zuückhaltenden, für mich selber darfs auch sehr ausgefallen sein und für Immobilienwerbung meist einen minimalistischen, weil der dem CHarakter der Liegenschaften häufig am besten entspricht.
These: Ohne das Wie gibt es kein Warum (Bildaussage)
Ich habe auch den Verdacht, dass viele ein Foto einfach aus so einem Gefühl heraus schiessen. Mehr durch den «glücklichem Unfall» werden diese Fotos sogar aussagekräftig. Und schon sind wir wieder beim Wie gelandet: Erst wenn ich weiss, warum ich etwas fotografiere, kann ich mir Gedanken über die aussagekräftige Umsetzung machen. Und da kommen wir wieder zur ursprünglichen Frage: Braucht es dazu Regeln oder geht es trotzdem?
Für mich gilt: Ich habe einfach zu wenig Talent, um ohne auszukommen. Einschränkend muss ich sagen, dass die typischen Kompositionsregeln selten dazu gehören.
Unterschätze Dich selbst nicht zu sehr – letztendlich bist Du Deine eigene Messlatte. So gesehen – das Warum. Nicht mehr aber auch nicht weniger.
Ich habe etliche Fotos die für mich einen unbeschreiblichen Wert darstellen
aber möglicherweise für andere Betrachter kaum beachtenswert sind.
Es gibt auch Bilder die nur mir alleine gehöhren.
Bilder die ich nie fotografiert habe.
Bilder bei denen ich im letzten Moment den Auslöser nicht gedrückt habe.
Aber das ist nun wieder eine andere Geschichte…………….
Schöne umfassenden Beitrag mit guten Tipps, danke.
@Roger
Warum ist es verkehrt ein Foto aus einem Gefühl heraus zu schießen?
Ist Intuition nicht ein feiner Motor der erstaunliches zuwege bringt?
Warum muss immer alles in Regeln gezwungen werden? Schnell sind immer diejenigen zur Stelle welche, einen zum einhalten von Regeln nötigen wollen. Sei es in der Religion oder sonst wo. Tu dies nicht, lass das sein, koste nicht….
Wenn ich gezielt etwas produzieren muss (Berufsfotograf) dann werd ich wohl nicht um manche Regeln drum rum kommen. Aber nur solche sollten dann bestimmend sein, welche die Technik (Physik) vorgibt bzw. der Kunde fordert.
Anderst als nicht gebundener kann ich doch meiner Intuition freien Lauf lassen. Nicht jedes Bild kann geplant werden, dann kann die Intuitive Variante mich retten. Doch hab ich vorher gelernt auf die Intuition zu hören?
Fotografiere ich nach Regeln gibt es sogenannte Reproduzierbare Ergebnisse. Toll, aber das ist doch nur wichtig für jemanden der das braucht. Andere schränkt es doch nur ein. Klar kann ich auch nicht die Regeln der Physik umschmeisen, die muss ich berücksichtigen. Doch sind dies eigentlich keine Regeln sondern Naturgesetze und sowieso nicht änderbar.
Doch zurück zu den Regeln von Menschen gemacht für Menschen wozu?
Damit die Bilder einem möglichst breiten Puplikum gefallen? Damit man sagen kann schaut her, ich habe alles so gemacht wie gefordert. Nun kann auch ich ein Bild zeigen, welches den euren gleicht. Was unterscheidet aber dann mein Bild von denen der anderen? Knackscharf von surealistischer Schärfe mit unnatürlichen Farben. (PS machts ja möglich)
@Randle
Du hast einen guten Weg gefunden, der Regelwelt zumindest teilweise zu entfliehen. Gefällt mir gut.
@Thomas
Das was Du als «Gefühl» betrachtest ist eigentlich nichts anderes als Deine ganz «persönliche» Sichtweise/Filter oder auch «Regel».
Bleib dabei…………und gehe den Weg weiter. Es ist nicht immer nötig ein Dogma
zu definieren – auch wenn man danach handelt.
@Randle
deine Auffassung in Ehren. Doch ich trenne Gefühl und Intuition strickt.
Gefühl ist etwas, welches sich auf Grund bestimmter Ereignise einstellt.
Also ist Gefühl eine Reaktion auf etwas bereits geschehenes.
Intuition ist zu ahnen was gleich passieren wird und das interessant für mich wird, deshalb warte ich bereit zum Auslösen auf dieses Ereignis.
Also ist Intuition das erwarten des kommenden.
Ichhoffeich konnte es einigermaßen verständlcih fomrulieren.
Also Gefühl ist für mich wie Intuition etwas welches nicht grundsätzlich
auf Analyse realer Faktoren zustande kommt.
Der «goldene Schnitt» wäre etwas aus dem Zauberhut der realen Fiktion…………
Hallo Randle
Zitat: Also Gefühl ist für mich wie Intuition etwas welches nicht grundsätzlich auf Analyse realer Faktoren zustande kommt.
Unter Analyse würde ich etwas verstehen, welches mit Verstand erarbeitet wird.
Ein Gefühl ist nicht so direkt zu greifen. Es kommt meist ganz von alleine auf Grund einer Situation oder Gegebenheit. Es kann gut oder negativ sein.
Das hängt von den individuellen Erfahrungen ab. Das geht also in der unbewußten Ebene ab.
Zitat: Der “goldene Schnitt†wäre etwas aus dem Zauberhut der realen Fiktion…………
Hm damit kann ich jetzt wenig anfangen. Für mich ist der GS nur eine Aufteilung nach Geometrischen Gesichtspunkten, welche sich als allgemein
vorteilhaft herausgestellt hat.
Die reale Fiktion ? Hm….
Realität ist nunmal nicht fiktiv sonst wäre sie nicht real. Mit «photosophie» hab ich allerdings nix am Hut, ebensowenig wie mit haarspalterischen Argumenten der Philosophen rund um das Thema Realität.
Ich mache nur ganz einfach Bilder von vorgefundenen realen Dingen, oder gelegentlich auch mal von mir selbst inszenierten Dingen. Aber selbst die inszeniert Dinge sind dann real, sonst würde die Kamera ja sie nicht einfangen können.
Ob «Inszeniert» oder «Reportiert» sobald Du mit Deiner kleinen «Zeitschneidemaschiene»
aus Deinem eigenen «Blickwinkel» heraus nur einen Teil der Handlung oder Geschehens
dokumentierst bzw. manipulierst gibst Du dem Bild eine Aussage welche subjektiv und
damit nicht einer höheren Wahrheit dient (oder muss).
Das ist aber ein grundsätzliches Problem der menschlichen Erinnerung.
Hallo Randle
Klaro ich mache Bilder aus meinem Blickwinkel heraus. Genau das will ich vermitteln. Ich stelle mit meinen Bilder (hoffentlich) meine Sichtweise dar.
Ich erhebe deshalb auch keinen Anspruch auf absolute Wahrheit. Das ist doch gar nicht das Ziel der Fotografie. Fotografie hat doch den Zweck Sichtweisen zu transportieren. Und diese Sichtweise entspreicht einer momentanen Wahrnehmung.
Selbstvertsändlich wird Bildmaterial auch bewußt manipulativ eingesetzt.
LG Thomas