Unbeholfene, überbelichtete Bilder

Über folgenden Text bin ich gestolpert:

After wasting an afternoon taking pictures of a broken tricycle, moss on trees, and the shadow of a wrought-iron fence, Churchill Alternative High School senior Jessica Ivers falsely informed family and friends Saturday that she was getting into photography. «I love the way real film looks,» said Ivers, who has owned the old single-lens reflex 35 millimeter camera for exactly one week, and named as her favorite photographers «probably Diane Arbus» and the French guy who took the picture of the boy with the wine bottle. «I’m really fascinated by textures, and I think I’ll be able to get some good shots of my grandma’s hands this weekend.» Sources close to Ivers expect the camera to join her clarinet and yoga mat under her bed once she pays $14.85 to develop the roll of clumsy, overexposed images.

Der Text liess mich etwas ratlos zurück. Da ist der eigenartige Umstand, dass eine Nichtnachricht portiert wurde … ein etwas erweiterter Blick auf die Website zeigt, dass es sich evtl. um Satire handeln könnte.
Aber da ist noch etwas anderes, die Geschichte enthält ein unglückliches aber leider verbreitetes Muster … der hinterhältige Trick besteht ja bekanntermassen oftmals darin, dass Satire und Realität zu nahe beieinander liegen.

Gehen wir das Muster kurz durch:

Da sind also zwei Personen – Die erste zeigt Begeisterung, die zweite ist längst darüber hinweg.

Erzählt wird aus der Perspektive der zweiten Person: Deren Motivation sind die Bilder, nicht eine Tätigkeit, und diese Bilder werden clumsy (unbeholfen) und overexpossed sein. Der Erzähler ist aufgrund der eigenen Erwartung bereits enttäuscht bevor er überhaupt Bilder gesehen hat, diese werden ihre $14.85 also nicht wert sein. Somit ist auch schon klar, dass der Nachmittag verloren war – wasting an afternoon taking pictures – welch sinnloses Unterfangen.

Auf der anderen Seite finden wir Jessica, Faszination und Tätigkeit. Sie macht einen Blick in die Zukunft und hat einen festen Glauben daran, etwas erreichen zu können, auch wenn die Blickdistanz im Artikel noch kurz und der Glaube gar konkret ist: I’ll be able to get some good shots of my grandma’s hands this weekend.

Was ist eigentlich das Thema des Textes? Es geht um nicht weniger als eine wichtigen Aspekt eines Lebensentwurfes … um die Berufswahl … um den Entscheid, ob es Berufung sein soll oder eine notwendige Tätigkeit zur Erlangung eines Einkommens … es geht um den Unterschied zwischen Lohn und Entschädigung.

Entscheidungen können aus Begeisterung getätigt werden oder aber auch aus einer zynischen Weltsicht … in diesem Fall nicht in Personalunion. Die erzählende Person weiss wie es kommen muss … das Ganze ist ja nicht neu, wie die Beispiele von Klarinette und Yogamatte zeigen. Der Erzähler wird durch seine Erwartung die Geschehnisse steuern, dadurch erhält das Ganze dann auch den Charakter einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Dass es so sein wird steht schon klar im Text: falsely informed family and friends Saturday that she was getting into photography. Vermutlich war diese Methodik schon erfolgreich beteiligt als die Klarinette und die Yogamatte den Weg unter das Bett fanden … wobei die Yogamatte ja noch zu verschmerzen wäre.

Die Frage die ich mir jeweils stelle wenn ich morgens gelegentlich Gespräche von Leuten auf dem Arbeitsweg mit verfolge: bei deren Arbeit ist nichts übrig geblieben was Sinn stiften könnte, welche Begeisterungen wurden wohl bei denen schon frühzeitig totgeschlagen?

Gruss
Andreas

P.S. Wenn sie also in Zukunft in einem Fotoforum ein hoffnungsvolles, zartes Foto-Pflänzchen antreffen, welches mit Begeisterung das erste Licht erblickt – so seien sie bitte einfühlsam und lassen die Begeisterung leben – die Welt würde nicht schlechter dadurch.

3 thoughts on “Unbeholfene, überbelichtete Bilder

  1. Das mit dem Hobby und dem Beruf hab› ich mir grad unlängst überlegt. Ich will für mich selbst diese beiden Dinge auf jeden Fall getrennt haben, ausser vielleicht einige kleine Ãœberschneidungen wie Mikroskop-Fotos oder so etwas.

    Allerdings hab› ich mich gefragt, ob die grossen Entdecker nicht alle ihr Hobby und damit ihre Leidenschaft dafür zum Beruf machen müssen, um überhaupt den Elan zu haben, neue Dinge zu entdecken. Meine Frage blieb unbeantwortet, da ich dann dem doch nicht nachgehen mochte.
    Meine Gedanken gingen aber an den biographischen Film über John Nash, welcher sich ja intensivst der Mathematik widmete und so bereits früh (mit 22 Jahren) diejenige Arbeit geschrieben hatte, für welche er später den Wirtschaftsnobelpreis erhielt.
    Um in der Fotografie zu bleiben; ist die Fotografie z.B. für René Burri nicht Beruf und Hobby zugleich?

    Das nur dazu, für mich ist die Frage, ob man auch mit einer Trennung von Freizeit und Beruf zur echten Koryphäe werden kann, noch unbeantwortet. Vielleicht hilft mir ja jemand weiter :-).

    Nun aber noch zum Beitrag selbst – The Onion ist in der Tat ein satirisches Onlinemagazin, wie du ja wohl bereits festgestellt hast. Ich wollte immer mal drin herumlesen, hab› dann aber jedes Mal gemerkt, dass es meinen Humornerv nicht ganz trifft.

    Deinen Ratschlag nehm› ich aber nur zu gerne auf – manchmal ertapp› ich mich dabei, bereits zu ernüchtert von manchen Dingen zu sein, um die Leidenschaft, welche einige Leute dafür haben, zu verstehen. Sehr schade, denn so möcht› ich nicht werden :-).

  2. In meinen Augen ist es soweit nicht zwingend, Hobby und Beruf zu trennen, es können durchaus zwei Teile eines Ganzen sein. Ich bin der Ansicht, dass wir hier von Tätigkeiten sprechen, die einen wesentlichen Teil unserer Zeit füllen und daher einen minimalen Sinn machen sollten, einen Teil können wir so ausüben, dass wir damit unseren Unterhalt zu bestreiten vermögen, nicht gewinnbringend auszuübende oder übrige Interessen werden zum Hobby.
    Das Thema leidet meines Erachtens etwas daran, dass wir die Begriffe Hobby und Beruf recht eng besetzt haben. Einerseits: Beruf ist was Geld bringt und Hobby dasjenige was Spass macht. Andererseits: Arbeit macht keinen Spass und das Hobby sollte nicht allzu teuer sein. Das sind Vorgaben, mit welchen sich ein Dasein schon recht gut und ohne grosse Begabung vermurksen lässt.
    So gesehen würde ich sagen, man sollte vielerlei Interessen haben, die einen macht man zum Beruf, andere werden zum Ausgleich, wobei ich Ausgleich auch als Ergänzung zum Ganzen verstehe (und weniger als Kompensation für erlittenen Schaden).
    Was die Koryphäe anbelangt: Wenn man sich mit etwas beschäftigt wird man mit der Zeit besser werden wenn einem ein Interesse daran liegt. Zwangsläufig werden sich auf einem längeren Weg auch Widerstände in den Weg stellen, Erinnerungen an Begeisterung und Faszination, an Ideale die man nicht aufgeben will können helfen (sich) nicht aufzugeben, ebenso wie auch ein motivierendes Umfeld dienlich ist. Hier wären wir also wieder beim Artikel gelandet.
    Der Gedanke «so möchte ich nie werden» beinhaltet doch auch schon Ideale? Es gibt eine etwas modifizierte Version dieser Aussage: Ich werde zwar älter, aber nie Erwachsen. Da wurden uns die Erwachsenen immer als Vorbild vorgehalten (sei vernünftig!) – und zack! haben wir den Begriff negativ besetzt.

    Gruss
    Andreas

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