Stellung beziehen

Perspektive bedeutet einen Standpunkt beziehen, für die Fotografie gilt dies im wörtlichen Sinne.

If your pictures aren't good enough, you're not close enough.

(Robert Capa)

Zoomen oder Erlaufen?

Was ist der Unterschied, wenn Sie mit einem Zoomobjektiv das Motiv auf das gewünschte Mass heranzoomen oder mit einer Festbrennweite laufen, bis es ansprechend und in der gewünschten Grösse im Sucher erscheint? Der Unterschied ist Ihr Standort, und der Standort bestimmt die Perspektive. So einfach ist dies.

Der Standort ist eines der wichtigsten Einzelkriterien für den Aufbau einer fotografischen Komposition, damit legen Sie eine ganze Reihe von Dingen fest:

Horizontale Standortänderung

Die meisten Szenen bestehen aus einer Anzahl von Objekten in unterschiedlicher Entfernung zur Kamera. Daraus ergeben sich die Bereiche Vorder-, Mittel- und Hintergrund. Wenn Sie
 Ihren Standort seitlich verändern, so beeinflusst dies die Abbildung von Gegenständen im Vordergrund weit mehr als solche im Hintergrund. Überschneidungen verändern sich, aber es können auch Seitenflächen sichtbar werden, welche vorher unsichtbar waren (oder umgekehrt). Arbeiten Sie
 mit hartem Licht, so kann dies auch grosse Veränderungen im Kontrastumfang bewirken wenn Sie
 das Verhältnis von schattigen zu beleuchteten Partien ändern.

Bei nebenstehendem Bild kann durch eine kleine Veränderung des Aufnahmestandortes der Bildvordergrund wesentlich verändert werden - 30 cm höher und das Bild ist gleich ein anderes. Auch durch eine geringe Änderung der Aufnahmerichtung verändert sich viel, der Vordergrund bleibt im wesentlichen der Gleiche, der Hintergrund wird jedoch ein anderer sein.

Änderung der Distanz

Je näher Sie
 an ein Objekt herangehen, desto grösser erscheint es Ihnen. Mit grösserer Distanz erscheinen die Dinger kleiner. Das mag etwas gar banal erscheinen. Es ist jedoch schon etwas weniger banal einzusehen, dass bei einer Rückwärtsbewegung die am nächsten liegenden Dinge viel schneller kleiner werden als die entfernten. Die relativen Grössenverhältnisse der Dinge untereinander verändern sich.

Die nebenstehende Aufnahme wurde mit sehr kurzer Distanz zur Coladose mittels Weitwinkelobjektiv gemacht. Geht man zwei Meter zurück, so wird die Coladose nur noch unscheinbar klein abgebildet, für die Berglinie im Hintergrund ändert sich jedoch kaum etwas, sie wird aber immer noch etwa gleich gross abgebildet werden.

Durch den Standort alleine lässt sich also die Abbildungsgrösse des Hintergrundes nicht oder nur bei sehr grossen Distanzänderungen beeinflussen. Somit geschieht dies von ihrem Standpunkt aus über die Wahl des Bildwinkels, respektive der Brennweite, damit entscheiden Sie über die Grösse des Hintergrundbereichs. Die Abbildungsgrösse des Objekts im Vordergrund können Sie nun durch verändern der Distanz zu diesem variieren bis Sie ihnen passend erscheint.

Eine weitere Differenz ergibt sich, wenn das Vordergrundobjekt selbst eine sichtbare Tiefenausdehnung hat. Ist die Tiefenausdehnung gross gegenüber der Distanz von der Kamera zum Objekt, so macht sich die perspektivische Verkürzung in der Tiefe des Objekts bemerkbar und betont dadurch dessen Körperlichkeit. Befinden Sie sich aber etwas weiter weg, so erscheint das Objekt zunehmend verflachter.

Beispiel: Ein Objekt hat eine Tiefenausdehnung von 2 Metern. Wenn Sie sich einen Meter vor dem Objekt befinden, so erstreckt sich dieses von Ihnen aus gesehen von 1 bis 3 Meter in den Raum. Der entfernte Teil des Objekts ist somit drei mal weiter entfernt als der nahe und wird entsprechend nur einen Drittel so gross abgebildet wie der naheliegende Teil. Das Objekt erscheint in "steiler Perspektive". Ist Ihre Distanz zum Objekt aber 20 Meter, so erstreckt sich dieses von 20 bis 22 Meter in den Raum. Der Abbildungsmassstab variiert von vorne bis hinten nur mehr 10%, das Objekt wird in flacher Perspektive dargestellt.

Um das Motiv herumgehen

Beim Herumgehen um ein freistehendes Objekt ändert sich nicht nur die Ansicht des Objekts selbst, sondern auch der Hintergrund und die Lichtrichtung, für jeden Standort ergibt sich zum Vordergrund ein entsprechender Hintergrund. Etwas verallgemeinernd kann gesagt werden, dass die Brennweite den Abbildungsmassstab des Hintergrundes und die Aufnahmerichtung dessen Ausschnitt festlegt.

Die Festlegung des Hintergrundes kann nach verschiedenen Kriterien geschehen. Ein Informationsbezug ergibt sich, wenn der Hintergrund in einer bestimmten Beziehung zum Hauptobjekt steht. Darunter fällt auch die Trennung zwischen Hauptmotiv und Hintergrund, wobei nicht nur einen klare Trennung denkbar ist, sondern auch das Verstecken des Objekts. Ästhetische Überlegungen betreffen farbliche, auf Form oder auf Struktur basierenden Eigenschaften des Hintergrundes.

Durch Veränderung der Aufnahmeposition unter Beibehaltung der Aufnahmerichtung entscheidet der Fotograf somit über Abbildungsgrösse und Ausschnitt des Bildvordergrundes. Durch die Aufnahmerichtung bestimmen Sie auch die Lichtrichtung (Frontallicht bis Gegenlicht).

Wenn Sie Ihre Position vertikal verändern, erhalten Sie nicht nur einen höheren oder niedrigeren Blickwinkel der Szene, sondern auch die Möglichkeit, den Bildinhalt in seiner Wirkung wesentlich zu verändern.

Altar des Berliner-Doms in
Frosch-Perspektive

Der Fotograf ist somit entsprechend den praktischen Möglichkeiten imstande, vom gegebenen Motiv unterschiedlichste Bilder zu machen, allerdings nur wenn er sich sein Motiv erläuft, erbückt oder erklettert. Daher kommt auch die Vorstellung, dass zwei verschiedene Fotografen ein Motiv ganz unterschiedlich in ein Bild umsetzen. Der eine hat eben ein Zoomobjektiv, der andere nicht.

Froschperspektive

Die Froschperspektive ist der Blick von unterhalb der normalen Augenhöhe nach oben, wenn Sie einen niedrigen Standort einnehmen. Anstelle des Begriffs Froschperspektive ist auch der Begriff Untersicht geläufig.

Infolge des tief gelegenen Aufnahmestandpunktes verschiebt sich der Fernpunkt nach oben, der Horizont innerhalb des Bildes nach unten. Bilder in Froschperspektive lassen die abgebildeten Objekte als grösser erscheinen, oftmals als überragend, bedrohlich oder gar erdrückend. Gestalterisch lässt sich dies gut einsetzen zur Darstellung von Macht oder Dominanz.

Wird die Kamera aus der Froschperspektive nach oben geschwenkt, so führt dies zu stürzenden Linien, also zu Fluchtlinien welche nach oben zusammenlaufen, ein Effekt, welchen unsere Seherfahrung generell von grossen und somit räumlich ausgedehnten Objekten kennt. Dies gilt um so mehr, je näher am Objekt der Aufnahmestandort ist. Dieser Effekt kann durch die Verwendung von Weitwinkel-Objektiven und einer starken Neigung der Kamera nach oben bei Bedarf bis zur Karikatur gesteigert werden.

Vogelperspektive

Lindos auf Rhodos in Vogelperspektive

Vogelperspektive ist der Blick von oben nach unten, normalerweise befindet sich die Kamera dazu oberhalb der normalen Augenhöhe. Anstelle des Begriffs Vogelperspektive ist auch der Begriff Obersicht geläufig.

Der Horizont, und damit auch der Himmel, verschiebt sich innerhalb des Bildes nach oben oder wird unter Umständen sogar ausserhalb des Bildes zu liegen kommen.

Die horizontalen Flächen des Motivs nehmen nun einen grösseren Anteil der Bildfläche ein, im Gegenzug werden senkrechte Motivflächen kleiner abgebildet. Der Boden oder Grund tendiert dazu, das gesamte Bild einzunehmen.

Durch grössere Distanz mittels Teleobjektiven werden perspektivische Verzerrungen geringer und die Perspektive flacher. Linien, Flächen und Strukturen werden herausgearbeitet, das Bild wirkt grafischer.

Augenperspektive

Augenperspektive

Für die Augenperspektive wird die Kamera auf Augenhöhe gehalten und ist weitgehend waagrecht ausgerichtet.

In der Folge laufen alle Fluchtlinien auf einen Fernpunkt innerhalb des Bildes zu, welcher sich ebenfalls ungefähr auf Augenhöhe des Betrachters findet. Wird zudem eine Brennweite im Bereich der Normalbrennweite (50mm beim Kleinbildformat) verwendet, so entspricht die Augenperspektive weitgehend unserem normalen Seheindruck während der meisten Zeit.

Aus der Augenperspektive ergibt sich ein weitgehend effektfreies Bild, welches weder eine spezifisch grafische noch eine dynamische Wirkung angestrebt.

In einem mittigen Horizont und der symmetrischen Teilung der Bildfläche durch ebendiesen lauert allerdings auch die Gefahr der Langeweile. Aus dieser Falle muss sich der Fotograf befreien, sei dies durch eine Element im Vordergrund, durch eine strenge Grafik welche das Bild formal abhebt oder indem eine andere Perspektive eingenommen wird.