9. Das werte Publikum

Autor: Michael Albat

Männer, Frauen und Kinder drängten sich im Missionszimmer, man betrachtete die vorliegenden Bilder und entschied sich zur Überraschung von Schultz für dieses Bild, das eine gutgenährte Kuh mit einem Jungen zeigte.

Uwe Timm, Morenga

Ein Amateur ist jemand, der etwas aus Liebe zur Sache tut. Das Wort Amateur kommt vom lateinischen amator, "Liebhaber", und von amare, "lieben". Das sollte man nie vergessen, denn in dem Wort liegt der Schlüssel zu Erfolg: Was man nicht mit Liebe tut, wird man nie wirklich gut machen. Auf Fotografie bezogen heisst das: Wenn man das Motiv, das man fotografieren möchte, nicht "liebt" - d.h., kein echtes Interesse an ihm empfindet - sollte man es übergehen und den Film für eine für eine bessere Gelegenheit aufheben, denn das Foto kann einfach nicht "gut" werden. Hier haben Amateure einen unbezahlbaren Vorteil gegenüber den "Profis". Berufsfotografen verdienen sich mit dem Fotografieren ihren Lebensunterhalt. [...] sie sind nicht "frei". Dagegen fotografieren Amateure nur zu ihrem eigenen Vergnügen. Als ihr eigener Herr können sie machen, was sie wollen - sie sollten wahrhaft glücklich sein.
Leider wissen aber anscheinend viele Amateure dieses kostbare Privileg der Freiheit nicht zu schätzen, denn sie machen sich freiwillig zu Sklaven - Sklaven ihres Drangs zur Nachahmung. Unfähig, sich aus den Banden der Tradition zu lösen, fotografieren sie unentwegt die gleichen Motive, die schon längst "zu Tode strapaziert" worden sind, wahrscheinlich in der Annahme, was anderen Fotografen Erfolg einbrachte, müsste dasselbe für sie tun. "Andere machen doch Stillleben und Akte und Bäume und bekommen Preise dafür in Wettbewerben - ihre Bilder hängen in Ausstellungen und werden in Zeitschriften abgedruckt - warum sollte ich das nicht auch schaffen?" sagen sie mir. Meinetwegen, wenn es ihnen Spass macht; nur begreife ich nicht, wie es einem Menschen befriedigen kann, nur auf ausgetretenen Pfaden zu gehen.

Andreas Feininger, Richtig sehen - besser fotografieren, 1973

Tja, das werte Publikum ist immer für eine Überraschung gut.

Ich habe einmal eine Serie von fünf Bildern veröffentlicht, was mir sofort die Rüge eines ranghohen Foren-Fotografen eintrug: ich sollte doch bitte nur ein Bild veröffentlichen, nämlich dieses Bild A, weil es das beste sei. "So machen es die Profis!", fügte er noch hinzu.

Bilder: Michael Albat

Nun, eine ganze Reihe von Betrachtern waren anderer Meinung: Es gab ein scharfes Rennen zwischen Bild B und C.

Ein Freund fügte tröstend noch hinzu, ich sollte auf die nicht hören, Bild D wäre schon das Beste!

Einig jedoch waren sich alle, dass mein Favorit, Bild E, das einzige war, was nun wirklich schadlos entfallen könnte.

Anmerkung der Administration: Bild E wurde schadlos weggelassen.

In diesem, dem vorletzten Abschnitt soll es nun um die Menschen gehen, mit denen es ein Foto im Laufe seines Lebens zu tun bekommt: "Warum fotografieren wir" lautete die Ausgangsfrage, und zu Präzisierung "Was fotografieren wir für wen?" sind wir gekommen.

Im Laufe meiner amateur-fotografischen Karriere bin ich immer wieder an den Punkt gekommen, dass ich mich unwohl fühlte, dass irgend etwas schief lief, ohne dass ich jedoch sagen konnte, woran genau das nun liegt. Das Hobby ist an einem Totpunkt gelangt, spannungslos geworden? Ja, so in etwa.

Wir kaufen Sachen, die wir nicht brauchen, mit Geld, das wir nicht haben, um Leuten zu imponieren, die wir nicht leiden können. Ja, auch von der Flucht in die Technik kann ich mich nicht freisprechen ("Wie schön könnten meine Aufnahmen sein, hätte ich doch nur die Kamera ABC 9000ijk m.b.H! Und dazu das neue f2.8/wer-weiss-bis-wo XYZ!"). Aber wesentlicher war doch, dass ich Sachen machte, die ich nicht wollte, mit Zeit, die ich nicht hatte, um Leuten zu imponieren, an deren Urteil mir eigentlich nichts lag.

Ich wollte - und will - selbst gemachte, grossformatige SW-Abzüge für mein Wohnzimmer. Mein Publikum besteht nur aus mir selbst, und wenn andere meine Arbeiten sehen wollen, so sind sie herzlich zu Gaste geladen, aber sie müssen essen, was ich auf den Tisch stelle. Wenn es ihnen schmeckt - um so besser!
Statt dessen ertappte ich mich dabei, dass ich ganze Wochenenden damit verbrachte, Dias für Internet-Foren zusammenzusuchen.

Es gibt nun kein Gesetz, dass das Fotografieren für Internet-Foren verbietet. Es ist weder unmoralisch noch illegal, und dick macht es auch nicht. Auch Feininger gibt dazu sein Placet: Solche Motive begeistern sie, sie möchten sie im Bild festhalten und damit besitzen, nach Hause mitnehmen, immer wieder betrachten und ihre Freude daran mit anderen Menschen teilen.

Seien wir froh, dass wir das Internet und seine Foren haben: Noch nie war das Teilen der Freude so einfach. Oder genauer: Das Teilen der Freude an einem Motiv wäre noch nie so einfach wie heute. Nach einigen Jahren in Internet-Foren zur Fotografie frage ich mich aber, ob es überhaupt noch Leute gibt, die sich für ihre Motive interessieren. Ich verkneife es mir, an dieser Stelle auf die Kategorie Akt hinzuweisen, wo heute wohl nur noch Frauenhasser unterwegs sind.

In seiner bekannt kernigen Art schreibt Feininger:

Keine zwei Fotografen sind in bezug auf Persönlichkeit, Herkommen, Erziehung, Interessen, Geschmack und Art der Entwicklung genau gleich. Daraus sollte man schliessen, dass sich beim Vergleich bedeutender Werke ihres fotografischen Schaffens diese persönlichen Verschiedenheiten in ihren Bildern als Unterschiede in bezug auf Motivwahl und Ausführung, Komposition, Stil und so weiter zeigen. Leider sind solche bildlichen Unterschiede verhältnismässig selten, hauptsächlich, weil Unterschiede in der Persönlichkeit oft durch Ähnlichkeiten im Denken wettgemacht werden. Das ist das bedauerliche Ergebnis einer Art "Gehirnwäsche" durch den zersetzenden Einfluss von Gruppentätigkeit in Verbindung mit fehlendem Mut, um eine eigene Richtung einzuschlagen. Diesen negativen Kräften zu widerstehen muss das Hauptbestreben jedes Fotografen sein, der einen eigenen Stil entwickeln will.

Nun ist Feininger ja ein Schlitzohr, der sich das Leben leicht macht: "Die Kräfte" sind negativ ja nur für den Fotografen, der seinen eigenen Stil entwickeln will. Vielleicht möchten sie aber, dass Ihre Bilder in Internet-Foren ausgezeichnet werden, in Ausstellungen hängen und in Zeitschriften abgedruckt werden? Möchten sie dadurch ein anerkannter Künstler werden, mit Berechtigung zum Tragen eines rot-emaillierten Abzeichens? Vielleicht gar ein AFIAP? (Artiste FIAP - Fédération Internationale d'Art Photographique)

Dann denken sie bitte daran, dass sie dann nicht für das Publikum arbeiten, sondern zunächst für die Juroren! Lassen sie sich Schultz als mahnendes Beispiel dienen: genau an dieser Klippe ist er gescheitert!

Die Juroren und Redaktoren haben Stillleben und Akte und Bäume gemacht und Preise dafür bekommen in Wettbewerben - folglich werden sie genau das auswählen, was sie machten, was ihnen Erfolg einbrachte.
Nein, in diesem Falle sind sie gut beraten, etwa folgende Motive zu wählen:

Rollen von Tauen, die auf einem Kai liegen; eingeölte Akte in gekünstelten Verdrehungen, weil das Gesicht oder ein anderer Teil des Körpers, der nicht im Bild gezeigt werden darf, verborgen werden soll; alte Männer mit Bart; alte Frauen, Kruzifixe in knorrigen Händen halten; Stillleben mit einem offenen Buch oder einer Bibel, vorzugsweise mit einer daneben stehenden brennenden Kerze; in grobe Leinwand gekleidete Mönche; sommersprossige Jungen, die Apfel essen; und Stillleben mit Aluminiumschalen und Vasen

Ich meine: Es ist doch ziemlich naiv zu glauben, dass sich Qualität am Ende doch durchsetzt? Oder? Wie sehen sie das?